Manfred Mustermann Testo

Testo Manfred Mustermann

Mir war von Anfang an klar: Mݶchtest Du hier ݼberleben
musst Du besser als der Rest sein; es kann nur einen geben.
Meine Chancen standen bei eins zu einer Million,
doch ich hab' an mich geglaubt und es hat sich gelohnt.
Jetzt hab ich lang genug gewartet, meine Zeit ist gekommen;
dieser Platz wird zum Gefݤngnis, ich befrei' mich davon,
ich spݼr' den Luftstrom beim ersten Atemzug in meiner Lunge,
hݶr' wie jemand sagt: 'Glݼckwunsch, ein kerngesunder Junge!'
Die Wݤrme meiner Mutter wirkt beruhigend auf meine Nerven,
ich ݶffne meine Augen um 'nen Blick nach drauݟen zu werfen;
alles ist neu fݼr mich, doch ich bin neugierig,
und ich greif' nach allem, was ich in die Fݤuste krieg.
Hier gibt's so viel zu entdecken, zu tasten, riechen und schmecken.
Ist das weich? Was passiert, wenn man es runterwirft? Kann man das essen?
Mama schau, ich lauf', ich hab's schon bis zum Schrank geschafft!
Und Papa ist so stolz auf meinen ersten ganzen Satz.
Ich kann schon ݼber die Tischkante gucken, Mensch, jetzt bin ich groݟ!
Nur dass Papa immer arbeiten gehen muss find' ich doof,
aber am Samstag fݼllt er das Planschbecken mit Wasser auf
und dann kommt Marie, das Mݤdchen aus dem Nachbarhaus,
wir spielen 'Vater, Mutter, Kind', spݤter werd' ich sie mal heiraten.
Zum Geburtstag will ich den groÝŸen Polizeiwagen.
Meine Mama sagt, ich soll die Zeit noch genieÝŸen,
bald musst Du zur Schule, dann ist es vorbei mit dem Spielen.

Ich hab 'ne Bande mit meinen Freunden und ich find Mݤdchen echt ݤtzend,
kauf' Panini-Bilder, doch bald sind sie verklebt und vergessen,
und mittlerweile muss ich literweise Clearasil zwecks Akne nehmen,
und es steigen Parties mit Schiebertanzen und Flaschendrehen.
' Mein Sohn, Du bist heute Abend wieder da Punkt zehn!'
Ja, mal sehen, wartet nicht auf mich, ihr kݶnnt ruhig schlafen gehen.
Ehrlich, von meinen Eltern lass' ich mir nix mehr sagen,
genau wie von Lehrern, ey fuck, die woll'n sich alle eh nur wichtig machen.
Nach meinem Zeugnis fragt mich doch spݤter keine Sau mehr,
Mann, ich hab'n Traum, ich geh nach Lanzarote und werd' Tauchlehrer.
Parties werden hݤrter so wie die Alkoholika,
es sind Drogen da, und ich hab mein erstes Mal mit Monika.
Das ist ein groݟes Jahr und nichts wird mehr wie frݼher sein,
hab' stݤndig Liebeskummer und den lang ersehnten Fݼhrerschein.
Auch die Schule lass' ich halbwegs erfolgreich hinter mir,
aber Ausbildung? Nein danke, es ist das Leben das mich interessiert.

Ich wohn' jetzt in 'ner eigenen Wohnung und bin weg von zu Haus,
wohn' in 'nem Wohnblock in der Stadt und mach' das Beste daraus;
ich trݤum von 'nem groݟen Garten und 'ner Dachterrasse,
doch leider bin ich stets im Minus bei der Stadtsparkasse.
Keine Mama ist mehr da die mir mein Essen kocht
und wenn ich an die Schule denk', dann denk' ich bloݟ: Ach hݤtt' ich doch!
Ich find' keinen festen Job, les' in der Zeitung nur den Stellenmarkt,
und Moni zu verlassen, das war keine Heldentat,
und dann am selben Tag noch ins Bett mit Marie.
Wann ich das Inge erzݤhl? Na besser nie.
An der Bar 'n Bier bestellt, im Club am Klo 'n Nݤschen gezogen,
dann von den Bullen erwischt, die Taschen voller chemischer Drogen,
drum hab ich den Job verlor'n, der ganz in Ordnung war,
und wer zur Hݶlle erklݤrt mir bloݟ mein Steuerformular?
Ich sag, 'Ich bin nicht wie die andern', und merk selbst, wie seltsam es klingt.
Hey kann es sein, dass ich im Club wirklich der Ý❝lteste bin?
Freunde ݼberholen mich im Porsche auf der Autobahn,
meine Zukunft hat schon lݤngst begonnen, verdammt, ich brauch 'n Plan!
Doch ich feier lieber Parties und hau mir die Birne weg,
und dann am Telefon Inges Vater, der Firmenchef,
redet irgendwas vom Geld verdienen bei ihm mit Internet,
weil er gern etwas solideres fݼr seine Inge hݤtt'.
Nur wegen ihr macht er mir 'n paar Angebote,
gut, arbeite ich halt bei ihm und tauch' spݤter auf Lanzarote.

Inge zeigt mir ihren positiven Schwangerschaftstest,
ich weiss zwar nicht so recht, doch lach' sie an und halt' sie ganz fest.
Inge wir heiraten, ich kann nicht neinsagen,
also Ringe kaufen, Aufgebot bestellen, Freunde plus Familien einladen.
Flitterwochen wie versprochen in Venedig,
kurz darauf im Sommer kommt das Baby unser Glݼck auf ewig.
David, vom Papa die Nase, Mama die Haare,
die strahlend blauen Augen von Opa, was fݼr ein Knabe!
Das Leben macht Spaݟ und die Befݶrderung kommt,
der Mercedes ist schwarz, die Sekretݤrinnen blond,
und die Nachbarn sind neidisch auf 'ne Familie wie uns,
das Kind und wir sind gesund, und alle lieben den Jungen.
Wir ziehen um in das groÝŸe Haus am Stadtrand,
das Inges Eltern gehݶrt, wo wir alle endlich Platz ham.
David spielt im Garten, ich schau' vom Fenster aus mit Inge zu,
Die Ehe lݤuft harmonisch, ja fast so wie im Bilderbuch.

Neulich kam nach all den Jahren wieder 'ne Postkarte von Monika
aus Lanzarote, und sie schreibt, sie wohnt jetzt da.
Es ist doch komisch, ha? Man sitzt in seinem Mecedes,
rast an allem vorbei und merkt es erst dann wenn es zu spݤt ist.
Jetzt ist mein Leben doch schon aus mit sechsundvierzig.
Ist doch kein Wunder dass man dauernd deprimiert ist,
meine Frau meint, ich soll zum Therapeuten, doch ich brauch kein',
nicht so einen, mein Seelenklemptner bleibt 'n guter Rotwein.
Mit Inge lݤufts auch nicht mehr so wie in den besten Tagen,
denn seit den Wechseljahren ist sie kaum noch fݼr Sex zu haben.
David bleibt meine einzige Motivation,
in dieses doofe Bݼro geh' ich doch bloݟ fݼr meinen Sohn.
Wir tun doch alles fݼr ihn, ham uns den Arsch aufgerissen,
und er hat den Tauchkurs schon nach vierzehn Tagen geschmissen.
Manchmal glaub' ich, wir lassen ihm zu viel Freiheit;
David, vergiss nicht, um zehn musst Du daheim sein!

Jetzt bin ich dreissig Jahre in der Firma und das feiern wir,
mein Chef ݼberreicht mir 'ne Mݼnze mit dem Firmenlogo eingraviert,
und bei den meisten zݤhl' ich hier bereits zum alten Eisen,
aber den Youngsters kann ich immer noch das Wasser reichen.
Ich werd' es allen zeigen, dass ich noch was beweg'
auch wenn sie meinen, meine Programmiersprachen sind nicht mehr up to date.
Na gut, ich hab vielleicht paar graue Haare,
doch das soll nicht heissen, dass ich nichts mehr an Energie und Power habe.
Nur die Familie macht mir grade bisschen Sorgen,
ich will, dass David studiert, nur daraus ist bisher noch nichts geworden.
Er sagt zu mir immer nur 'Live your dreams!',
doch ohne Ausbildung wird das nicht geh'n, denn dann wird er mal nix verdienen.
Und Inge wird nicht grade attraktiver mit den Jahren
drum geh' ich aus und entdeck' den Reiz, fݼr Liebe zu bezahlen.
Ich ruf' sie an, sage: 'Schatz, heut' komm' ich spݤter heim,
hab' da 'n Projekt, das muss bis morgen frݼh erledigt sein.'
Und mit meinen Inlineskates halt' ich mich fit und gesund,
und auch wenn ich bald sechzig bin fݼhl ich mich immer noch jung,
doch dann kommt die Ýŝberraschung, David kriegt 'nen Sohn von seiner Mona,
den kleinen Lothar, verdammt, jetzt bin ich Opa.

Es hieݟ, ich sei ein Teil der Firma, daran ݤndert sich nichts,
denn in der Abteilung sei noch keiner lݤnger als ich;
sie sagten, sie brݤuchten wirklich mehr Mݤnner wie mich,
dann ham sie mir die Hand gedrݼckt und mich in Rente geschickt.
Und jetzt sitzt auf meinem Stuhl ein andrer hinterm Schreibtisch
und ich lݶs' die Kreuzwortrݤtsel in der Fernsehzeitschrift.
Denn ich langweil' mich so ohne Beruf
und bin nur glݼcklich wenn mich mal der kleine Lothar besucht.
Ja ich brauche was zu tun, und deshalb geh' ich in den Garten,
ich stutz' die Hecken, jݤte Unkraut und mݤh' den Rasen,
und im Winter sind wir wirklich niemals eingeschneit,
denn dann steh ich um sechs Uhr auf und rݤum' die Einfahrt frei.
Und auch wenn ich von meinen Freunden schon die Namen vergess'
und mein Mercedes eigentlich kaum noch die Garage verlݤsst,
weil immer wenn ich im Schritttempo durch die StraÝŸen schleich
gleich alle hupen und brݼllen, 'Ey jetzt fahr' schon, Du Tattergreis!',
will ich kein Leben auf dem Abstellgleis, weil ich noch Power hab',
doch in letzter Zeit bin ich bei meinem Arzt ein Dauergast.
Denn laufend hab ich irgendwelche Wehwehchen,
und sind die einen vorbei, dann kommen die nݤchsten.
Meine Augen werden schlechter und mein Kopf wird kahl,
ich krieg 'ne dicke Brille und 'ne groÝŸe Prostata;
ich bin so schwach, dass ich im Winter nicht mehr schneerݤumen kann
und meine Hose fݼhlt sich oft wie'n feuchter Teebeutel an.

Ich hab mein Leben lang gebuckelt, und was hab ich davon?
'Ne Minirente und 'nen Sohn, der jedes Jahr einmal kommt,
und ich bin so froh, dass es Inge gibt,
denn ohne ihre Hilfe ging es nicht,
und wenn ich aufsteh' wird mir schwindelig.
Und deshalb lieg' ich eigentlich bloÝŸ noch in meinem Bett herum,
und statt 'Auf Wiedersehen' hݶr' ich nur 'Gute Besserung'.
Inge sagt, ich werd schon wieder kerngesund
wenn ich nur immer brav meine Pillen nehm.
Doch ich kenn sie zu gut, und ich spݼr wenn sie lݼgt,
und ich fݼhl genau, dass alle wissen, was hier geschieht.
Ich hab kein' Bock mehr, die blݶden Medikamente zu nehm',
seh zu den alten Photos rݼber, die am Fensterbrett stehen.
Ich mit Inge frischverliebt am Markusplatz,
die Einschulung von David, das Bild von ihm zum Vatertag,
die Firmenurkunde, die ich zur Rente bekam,
und ich vorm Weihnachtsbaum mit meinem Enkel im Arm.
Vor meinen Augen zieht nochmal mein ganzes Leben vorbei,
ich wollte so vieles machen und hatte so wenig Zeit,
David lݤchelt mich an, Inge hݤlt meine Hand,
und ich will nur noch schlafen - Mann bin ich mݼde, verdammt.
Artisti per lettera
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